Vorwort

 

Mittlerweile bin ich selbst an Krebs erkrankt und habe innerhalb einer Woche zwei Operationen über mich ergehen lassen müssen. Zwei Wochen Klinikaufenthalt reichen mir fürs erste. Aber es ist erstaunlich welche Gedanken einem in dieser Situation, und dann auch noch in der Klinik, durch den Kopf gehen. Aus einem ganz sonderbaren Gedanken ist diese Kurzgeschichte entstanden.

 

 

Seelen tanzen auf dem Dach

 

 

 

 

Eines Abends lag ich in meinem Klinikbett und verspürte das Bedürfnis, noch etwas frische Luft zu schnappen und natürlich noch eine Zigarette zu rauchen. Was soll man auch sonst so den ganzen Tag im Krankenhaus machen, außer auf eigenen Besuch zu warten oder das kommen und gehen anderer Besucher zu beobachten.

Meine Zimmernachbarin durfte an diesem Tag schon nach hause, die glückliche. Ich war nun allein auf dem Zimmer und langweilte mich fast zu Tode. Steffi und ich hatten uns super verstanden, trotz meines Schicksals hatten wir beide, auch mit Schmerzen, sehr viel Spaß und lachten viel.

Nun war sie weg und ich ging diesen Abend allein runter vor den Eingang der Klinik um eine zu rauchen.

 

Ich setzte mich auf die Bank, von der aus ich das Klinikgebäude beobachten konnte.

Ich möchte noch erwähnen, dass ich im dritten Stockwerk auf der Gyn lag, Diagnose Brustkrebs.

Ich saß also auf der Bank, es war schon dunkel, die Laternen vor dem Eingang erleuchteten fast den gesamten Vorplatz der Klinik. Ich saß da und genoss die Ruhe und die schöne klare Luft des Abends. Es saßen ,nur vereinzelt, andere Patienten auf den Bänken, die wahrscheinlich das selbe Bedürfnis hatten wie ich.

 

Meine Blicke schweiften an der Fassade der Klinik hoch, bis zum dritten Stockwerk, zu dem Fenster in dem ein leuchtender Stern hing. Dieses Fenster gehörte zu dem Zimmer in dem die Neugeborenen lagen und sanft vor sich hin schlummerten.

 

Mir gingen seit Tagen schon viele Gedanken durch den Kopf. Ob ich so einfach nur mit einer Brust leben kann. Ob ich den Krebs besiegen kann oder mich über kurz oder lang das selbe Schicksal ereilt wie vor einem Jahr meine Schwester Monika. Die nach vier Jahren Kampf gegen den Krebs, von ihm besiegt wurde. Auch Gedanken wie es nun bei mir weitergehen soll, was noch alles auf mich zukommt.

 

Aber an diesem besagten Abend kam mir ein ganz eigenartiger, aber für mich, in diesem Moment, sinnvoller Gedanke.

 

Ich sah an den Mauern der Klinik hoch und dachte darüber nach wie viel Kummer und Leid, wie viel Schmerz und Wehmut, aber auch wie viel Hoffnung und Zuversicht und wie viel Freude und Glück in diesen Mauern steckte. Ich denke es gibt keine anderen Orte auf der ganzen Welt, an denen Leben und Tot so nahe beieinander liegen, als in allen Krankenhäusern, Kliniken, Spitale oder Hospitals, oder wie auch immer diese Mauern auf der ganzen Welt genannt werden.

 

Jeder kennt sicher den Film "Das siebte Zeichen" mit Demi Moore. In diesem Film geht es um die Kammer der Seelen, die leer ist und Demi Moore die Frage gestellt wird, "willst du für ihn sterben?". Sie stirbt, damit ihr Kind leben kann, damit ihre Seele ein neues Leben begleiten kann. Dieser Film wird sehr realistisch dargestellt und ich muss sagen, irgendwie glaube ich daran.

 

Ich saß immer noch auf dieser Bank vor der Klinik, an diesem schönen lauen Maiabend und rauchte schon meine zweite Zigarette. Ich fand diesen seltsamen Gedanken sehr interessant und fühlte mich sehr wohl dabei. Ich stellte mir vor, das die Seelen von gerade verstorbenen Menschen, auf dem Dach der Klinik sitzen, ihre Beine über den Rand der Mauer baumeln lassen und darauf warteten, dass ein neues kleines Leben erwacht. In das die Seelen hinein schlüpfen können um es ein langes Leben zu begleiten. Ich war so sehr in diesem Gedanken versunken, das ich die Seelen schon fast auf dem Dach tanzen sehen konnte, ich muss sagen diese Gedanken gefielen mir immer mehr. Irgendwie erschienen mir diese Gedanken einfach logisch.

 

Die Mauern einer Klinik haben viele Geschichten zu erzählen.

Traurige und herzzerreißende, wenn Angehörige um einen geliebten Menschen bangen oder ihn gar verlieren.

Aber es gibt auch lustige und fröhliche Momente, wenn ein neues Leben erwacht und die stolzen Verwandten sich ihre Nasen am Fenster des Säuglingszimmers platt drücken.

 

Aber wer nimmt sich schon die Zeit einmal genau hinzuhören oder gar hin zu sehen? Ich gebe zu, das ich es auch an diesem Abend das erste mal getan hatte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass durch meine Krebserkrankung viele Dinge die vorher auch für mich selbstverständlich waren, wieder einen viel höheren Wert bekamen. Vielleicht auch, weil ich mir durch meine Erkrankung intensiver Gedanken machte über Leben und Tot und ob es irgendwas dazwischen geben könnte. Jedenfalls machten diese, für viele lächerlichen und absurden Gedanken, für mich einen Riesen Sinn.

 

Wenn man das Leben zu schätzen weiß, dann brauch man den Tot nicht fürchten. Durch jeden Tot, wenn er auch noch so sinnlos erscheinen mag, erwacht ein neues Leben. Ich denke, niemand hat wirklich Angst vorm sterben, nur davor WIE er sterben wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Von Manuela Jagdmann / Mai 2011